DIE ECHTE ÖKO-TOMATE
Kaiser: Was haben Sie denn da für schöne rote kugelrunde Tomaten, Herr König? Sind Sie sicher, dass es sich dabei um ökologisch korrekte Erzeugnisse handelt?
König: Selbstverständlich. Etwas anderes kommt mir gar nicht in die Tüte.
Kaiser: Was für eine Tüte? Ich sehe bloß Ihr hübsches handgeflochtenes Körbchen.
König: Wissen Sie, Herr Kaiser, ich versuche einfach konsequent zu leben und so weit wie möglich reine Naturprodukte zu verwenden. Das schließt Körbchen und Tomaten ein. Tomaten besonders. Kein Kunstdünger, keine Giftstoffe, keine genveränderten Sorten.
Kaiser: Logisch, Herr König. Ich will ja auch kein Gift im Essen, und dass der viele Kunstdünger unser Grundwasser ruiniert, das ist auch schon bis zu mir vorgedrungen. Aber sagen Sie mir bitte: Was haben Sie gegen genveränderte Tomaten?
König: Sie interessiert mal wieder bloß, was Sie persönlich betrifft, Herr Kaiser. Von den weit reichenden Konsequenzen der genetischen Eingriffe bei Lebensmitteln scheinen Sie keinen Dunst zu haben.
Kaiser: Nämlich?
König: Jeder Eingriff ins Erbgut pflanzt sich in unendlich viele Nachfolge-Generationen fort und kann sich unkontrolliert über die ganze Erde verbreiten. Das macht man heute ganz beiläufig, als wäre das gar nichts. Aber man kann es in tausend Jahren nicht mehr korrigieren. Solche Manipulationen verzeiht die Natur nicht.
Kaiser: Die Natur, die Natur! Seit es Menschen gibt, manipulieren sie die Natur, sonst säßen wir immer noch auf den Bäumen und würden Eicheln rülpsen. Glauben Sie vielleicht, die ganzen Hunderassen, vom Chihuahua bis zum Bernhardiner, die alle vom selben alten Wolf abstammen – glauben Sie, die zu züchten, das wären keine Eingriffe ins natürliche Erbgut gewesen?
König: Doch, aber die kamen von außen und waren indirekt und haben ewig gebraucht, bis was rauskam, das man verwenden konnte.
Kaiser: Ja, gerade so, wie man früher seine Körbchen mit der Hand geflochten und dafür einen halben Tag gebraucht hat. Heute kriegen Sie zum gleichen Zweck bei Pfennig-Pfeiffer eine lila Plastikwanne für 99 Cent.
König: Mit einem Wort: Der Fortschritt lässt sich nicht aufhalten.
Kaiser: So ist es. Und ich sage Ihnen noch was: Je exakter Sie die Pflanze genetisch manipulieren, desto weniger Wasser, Dünger und Gift brauchen Sie, um dieselbe Menge Nährwert zu erzeugen. Gerade von einem ressourcebewussten Menschen wie Ihnen, Herr König, hätte ich mehr Dankbarkeit für die Gentechnik erwartet.
König: Wissen Sie, Herr Kaiser, mir ist bei der ganzen Sache nicht wohl zumute. Wenn wir damit erst mal anfangen, wo hören wir auf? Erst produziert man Algen, die im Dunkeln leuchten. Letzte Woche habe ich gelesen, taiwanesische Wissenschaftler haben ein Schwein erzeugt, dass bei UV-Licht blau strahlt.
Kaiser: Sie meinen, ein Schwein strahlt blau?
König: Das meine ich. Und als nächstes kommt der phosphoreszierende Mensch.
Kaiser: Das wäre für Sie doch höchst praktisch, Herr König, wenn Sie das nächste Mal nachts Ihren Schlüssel verlieren. Dann brauchen Sie mich nicht mehr aus dem Bett zu klingeln, um meine Taschenlampe auszuborgen.
König: Herr Kaiser, Herr Kaiser. Sie wissen doch genau, dass wir hier ein Fass aufmachen, das wir nicht mehr zukriegen. Da sind so viele Sorten im Lauf der Jahrtausende entstanden, die gehen jetzt schon den Bach runter. Und bald gibt es nur noch eine einzige EU-normierte Schnitttomate, in Würfelform, damit sie sich besser stapeln lässt. Was für ein Verlust von Vielfalt.
Kaiser: Im Gegenteil, Herr König. Wenn man jederzeit was Neues aus dem Ärmel zaubern kann – Sie werden sehen, wie das die Vielfalt beflügelt! Das hat die Menschheit noch nicht erlebt.
König: Ja, wenn es noch die Menschheit wäre, die hier lieber Gott spielt. Aber wir haben es nicht mit der Menschheit zu tun, sondern mit den großen Agro- und Lebensmittel-Konzernen. Das sind die einzigen, die sich die nötige Forschung leisten können. Und darauf lassen sie sich dann ihr Copyright erteilen. Dann kann kein Bauer in der Dritten Welt mehr sein Saatgut selbst nachziehen, er muss es von Nestlé oder Monsanto nachkaufen. Die kontrollieren dann die Ernährung der ganzen Welt. Wollen Sie das, Herr Kaiser?
Kaiser: Nein, das will ich wirklich nicht. Ich glaube aber nicht, dass das passieren wird. Da wird es politische Lösungen geben. Aber eins steht fest: Wenn wir nicht ganz schnell viel mehr Nahrung als jetzt produzieren, wird es demnächst auf der Welt sehr knapp. Sie sind doch der Zeitungsleser, Herr König! Schauen Sie sich mal um. Das geht doch jetzt schon los.
König: Es gibt doch auch andere Mittel. Wir müssen vernünftig mit dem Wasser umgehen. Wir müssen die Böden intelligent nützen. Die ertragreichen Sorten für jedes Klima gibt es doch jetzt schon, warum pflanzt sie keiner?
Kaiser: Alles schön und gut. Aber in Ihrem feinsinnigen Werkzeugkasten zur Steigerung der Welternährung, Herr König, da fehlt was. Da fehlt so was wie der große Hammer.
König: Ja, der fehlt wohl. Was glauben Sie, Herr Kaiser, kommt heraus, wenn wir die Welt mit dem Hammer bearbeiten?
Hinweise
Es geht um die – längst mögliche und teils auch schon praktizierte – gentechnische Veränderung von Lebensmitteln und Lebewesen. König, der sich um eine konventionell ökologische Lebensführung bemüht, lehnt dies konsequent ab, während Kaiser behauptet, dass gerade die Gentechnik neuartige positive Auswirkungen auf Umwelt und Welternährung haben könnte. Der Ton ist, da hier auch private Lebensentwürfe aufeinanderprallen, besonders am Anfang recht spitz. Die Argumente gruppieren sich folgendermaßen:
König: Gentechnik ist als solche schon grundsätzlich naturwidrig.
Kaiser: lässt das mit Hinblick auf die von jeher naturverändernde Tätigkeit des Menschen nicht gelten.
König: Gentechnische Veränderungen werden, gemäß dem Mechanismus der Fortpflanzung, ihre Auswirkungen noch tausend Generationen später zeigen; das ist ein unverantwortlicher Umgang mit der Zukunft.
Kaiser: Das gilt für alle je gemachten züchterischen Erfolge (Beispiel: Hunderassen).
König: Das geht viel zu schnell!
Kaiser: Beschleunigung liegt im Wesen des historischen Fortschritts und hat erheblich zu unserer heutigen Lebensqualität beigetragen.
Kaiser: Gerade zielgerichtete gentechnische Veränderungen könnten ökologische Nutzwirkung haben (Schädlingsresistenz, bessere Verwertung von Dünger und Wasser).
König: -
König: Wehret den Anfängen! Was bei Pflanzen und Tieren funktioniert hat, wird früher oder später auch am Menschen versucht werden.
Kaiser: -
König: Die Gentechnik bedroht den ererbten Bestand an genetischer Differenz.
Kaiser: Im Gegenteil! Denn jetzt können beliebig viele Varianten erzeugt werden.
König: Die Gentechnik führt dazu, dass Ackerbau und Viehzucht noch mehr als bisher von den großen Konzernen dominiert werden, zu Lasten der kleinen Bauern.
Kaiser: schlägt gesetzliche Gegenmaßnahmen vor.
Kaiser: Der gegenwärtigen prekären Welt-ernährungslage ist nur durch entschiedene Optimierung beizukommen.
König: bietet einen Katalog alternativer Maß-nahmen auf (den Kaiser für unzulänglich erklärt).
Leitfragen
- Was wisst Ihr über Gentechnik und die Möglichkeit gezielter genetischer Veränderung? Wie funktioniert das?
- Würdet Ihr genetisch veränderte Lebensmittel essen? Warum? Warum nicht?
- Mais- und vor allem Sojakulturen werden jetzt schon großenteils gentechnisch verändert. Welche Folgen könnte dies für die Umwelt haben? Für die Bauern? Für die Verbraucher?
- König erwähnt Schweine, die durch genetische Manipulation dazu gebracht wurden, im Dunklen zu leuchten. Geht das zu weit? Wo sollte man Grenzen ziehen?
- Sollte es erlaubt sein, ins Erbgut des Menschen einzugreifen, wenn dadurch bestimmte Erkrankungen vermieden werden könnten?
- Gibt es Eurer Meinung nach einen Unterschied zwischen Züchten und genetisch Verändern?
- Es zeichnet sich gegenwärtig ab, dass die Nahrungsmittel für die Menschheit immer knapper werden. Was könnte man dagegen tun? (Vorsicht! Die Frage hat die Tendenz, zu einem eigenständigen Thema zu werden.)
- Könnte Gentechnik die Ernährungslage der Menschheit verbessern? Sollte sie es?
Links
Informationsportal TransGEN über die Anwendung der Gentechnik in Landwirtschaft
Informationsdienst Gentechnik
Gen-Ethisches Netzwerk